Kurze Erforschungsgeschichte der Flora Österreichs Die floristische Erforschung Österreichs und die Geschichte der Florenwerke und Bestimmungsbücher beginnt recht früh, nämlich lange vor Carl von Linné: Von herausragender Bedeutung ist der aus Nord-Frankreich (damals Niederlande) stammende Charles de l’Écluse (lat. Carolus Clusius, 1526–1609), ein Pionier der wissenschaftlichen Botanik in einer Zeit, da Botanik noch hauptsächlich Heilkräuterkunde, also Pharmazeutik war. Clusius interessierte sich, seiner Zeit voraus, mit wissenschaftlicher Akribie für alle Pflanzen, nicht nur für die „nützlichen“. Aus Forscherdrang bestieg er, Hofbotaniker Kaiser Maximilians II. und Rudolfs II. in Wien, wohl als erster Botaniker den Ötscher („Etscher“) und den Schneeberg („Sneberg“, im Jahre 1574) im Erzherzogtum Österreich unter der Enns (heute Niederösterreich). Zur Zeit der Gegenreformation (möglicherweise als Protestant vom Wiener Kaiserhof verbannt) lebte Clusius lange Zeit am Hof von Balthasar Batthyány in Güssing (Königreich Ungarn, heute Süd-Burgenland), beschrieb erstmals rund 500 Pflanzenarten und verfasste 1583 u. a. eine Art Flora der Seltenheiten: „Rariorum aliquot stirpium per Pannoniam, Austriam et vicinas quasdam Provincias observatarum Historia“ (Erforschung einiger seltener, in Ungarn, Österreich und gewissen benachbarten Provinzen beobachteter Sippen), etwas später (1601) „Rariorum plantarum historia“ (Erforschung seltener Pflanzen). In dem erstgenannten Werk wird z.B. der Österreichische Drachenkopf / Dracocephalum austriacum (wie er dann viel später von Linné benannt wurde) unter dem Namen „Chamaepitys austriaca“ („Österreichische Zwergfichte“) beschrieben und abgebildet, und zwar (aus dem Lateinischen übersetzt:) „wächst er auf dünnem, schwarzem Boden auf den gegen die Ortschaft Rodaun zu gerichteten Berghöhen unweit von Perchtoldsdorf, eineinhalb Meilen von Wien entfernt, ziemlich häufig; bis jetzt ist es nicht gelungen, ihn anderswo zu beobachten“. Man fand den Österreichischen Drachenkopf später tatsächlich noch an drei anderen Stellen in Niederösterreich, von denen heute nur noch eine existiert. An der von Clusius entdeckten Stelle wächst diese Art auch heute noch, allerdings keineswegs mehr „häufig“, sondern in dem eigens für sie eingerichteten kleinen Naturschutzgebiet Teufelstein. Clusius führte u. a. die Rosskastanie von der Balkanhalbinsel und die Aurikel aus den Alpen als Zierpflanzen ein. Nicht nur die tropische Gattung Clusia (und die nach ihr benannte Familie Clusiaceae), sondern auch etliche, hauptsächlich für die Ostalpen charakteristische Arten erinnern an diesen großen Botaniker: Achillea clusiana, Doronicum clusii, Gentiana clusii, Potentilla clusiana, Primula clusiana, Rubus clusii usw. Auch die „Internationale Clusius-Forschungsgesellschaft Güssing“, dieser verdienstvolle burgenländisch-ungarisch-slowenische naturkundliche Verein, erinnert an den bedeutenden Gelehrten. Ihm ist auch das Clusius-Museum in der Burg Güssing gewidmet. Ein anderer vorlinneischer Botaniker, der gleichfalls sehr früh, an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert, die Ostalpen bereiste und besammelte, ist der Deutsche Joachim Burser (1583–1639), dessen Andenken etwa die tropischen Burseraceae und unsere Saxifraga burseriana hochhalten (siehe Speta 2002). Um die Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt die intensive botanische Forschung. Wilhelm (Guilielmus) Heinrich (Henricus) Kramer (1724–1765), aus Sachsen stammender Arzt in Bruck an der Leitha (Niederösterreich), brachte schon 1756, also nur 3 Jahre nach Linnaeus’ grundlegenden „Species Plantarum“ und ohne auf irgendeinen Vorläufer zurückgreifen zu können, den „Elenchus vegetabilium et animalium per Austriam inferiorem observatorum“ (Auflistung der in Niederösterreich beobachteten Gewächse und Tiere) heraus, eine bereits nach Linnaeus’ Methode (Systematik), aber noch ohne binäre Artnamen verfasste Flora. Der in Luxemburg geborene Arzt und Botaniker Heinrich Johann Nepomuk von Crantz (1722–1799) verfasste u. a. (1762–1767) „Stirpium austriacarum fasciculi“ (Hefte der österreichischen Sippen) und (1766) „Institutiones rei herbariae“ (Unterweisungen in der Pflanzenkunde); als äußerst scharfsichtiger und -sinniger Beobachter – und in wissenschaftlichem Streit mit seinen Zeitgenossen Jacquin und Linnaeus – entdeckte und benannte er z.B. die Gattung Camelina und viele neue Arten, u. a. Pedicularis rostratocapitata, Pedicularis rostratospicata, Veronica orchidea, Veronica dillenii; ihm gewidmet sind u. a. Potentilla crantzii und Noccaea crantzii (= Thlaspi alpestre). Nikolaus Josef von Jacquin (1727–1817), in den Niederlanden geboren, Professor an der Universität Wien und Direktor des Botanischen Gartens, Zeitgenosse und Korrespondent von Linnaeus, bearbeitete – neben der erstmaligen Erforschung der Karibik – die (ost-)österreichische Flora, in der er zahlreiche Arten erstmals wissenschaftlich erfasste. Außerdem sandte er viele Pflanzen aus Österreich-Ungarn, v. a. aus der damals noch wenig erforschten pannonischen Flora, an Linnaeus, der sie dann erstmals benannt (dabei nicht selten das Art-Epithet „austriacus“ verwendend) und beschrieben hat. Jacquin verfasste u. a. (1762) eine „Enumeratio stirpium plerarumque, quae sponte crescunt in agro Vindobonensi montibusque confinibus“ (Aufzählung mehrerer Sippen, die im Gebiete Wiens und in den angrenzenden Gebirgen wild wachsen) und (1773–1778) die „Florae Austriacae sive plantarum selectarum in Austriae archiducatu sponte crescentium icones ...“ (Abbildungen der österreichischen Flora, d. h. ausgewählter, im Erzherzogtum Österreich wildwachsender Pflanzen usw.; 5 Bände: 303 S., 500 Farbtafeln). Von Jacquin selbst aufgestellte Gattungen unserer Flora sind Peltaria, Wulfenia und Scopolia; von ihm erstmals beschrieben wurden u. a. uns so vertraute Arten wie Anthemis austriaca, Artemisia austriaca, Astragalus austriacus, Crataegus monogyna, Doronicum austriacum, Draba stellata, Euphorbia angulata, Euphorbia saxatilis, Galium austriacum, Gentiana pumila, Juncus monanthos, Loranthus europaeus, Meum athamanticum, Orchis palustris (= Anacamptis palustris), Polygala major, Potentilla clusiana, Primula glutinosa, Rhamnus saxatilis, Rumex alpestris, Seseli hippomarathrum, Sisymbrium austriacum, Valeriana elongata, Veronica fruticans, Veronica urticifolia, Viola alpina; nach ihm benannt sind z.B. Crepis jacquinii und Juncus jacquinii. Eine ähnlich große Bedeutung für die Erforschung der Ostalpenflora hat der aus dem Trentino stammende Altösterreicher Johann Anton Scopoli (1723–1788), Arzt, Chemiker, Mineraloge und v. a. Botaniker, der u. a. längere Zeit als Arzt in Idrija (Slowenien) wirkte und 1760 die wichtige „Flora carniolica“ (Krainer Flora) verfasste, mit der er zum Pionier der slowenischen Floristik wurde; er beschrieb erstmals z.B. die Gattung Ostrya und die Arten Campanula cespitosa, Carex alba, Carex pilosa, Chamaecytisus purpureus, Cotinus coggygria, Gentiana pannonica, Hacquetia epipactis, Helianthemum (nummularium subsp.) grandiflorum, Paederota lutea; mit der Gattung Scopolia setzte ihm Jacquin ein Denkmal ebenso wie etwa Hoppe mit Scrophularia scopolii. Die Laibacher Fachzeitschrift Scopolia wurde nach ihm benannt. Ein recht umfangreiches Werk hinterließ Joseph August Schultes (1773–1831), Professor der Zoologie, Botanik, Mineralogie, Chemie usw. in Wien, Krakau, Innsbruck und Landshut (Bayern). Mit seinem Bericht über die Besteigung des Schneebergs (1802) und des Glockners (1804) leitete er die touristische Erschließung der österreichischen Hochgebirge ein. Er ist der Verfasser von (1794) „Östreichs Flora“ (2 Bände; 2. Aufl.: 1814) – einem von seinen Nachfolgern wegen der vielen Fehler und der unkritischen Vorgangsweise heftig kritisierten Werk. An ihn erinnert etwa Galium schultesii. Nach den (1792) „Primitiae florae Salisburgensis“ (Erste Befunde über die Salzburger Flora) von dem bedeutenden bayerischen Botaniker (österreichischer Herkunft) Franz de Paula von Schrank (1747–1835) schrieb der Salzburger Regierungssekretär Franz Anton von Braune (1766–1853) 1797 eine 3-bändige „Salzburgische Flora“. Nicolaus Thomas Host (1761–1834), Leibarzt des Kaisers Franz I. von Österreich (Wien), schrieb 1797 „Synopsis plantarum in Austria provinciisque adjacentibus sponte crescentium“ (Übersicht über die in Österreich und den angrenzenden Provinzen wild wachsenden Pflanzen) und (1827–1831) „Flora Austriaca“ (2 Bände) und außerdem, als Frucht seiner speziellen Beschäftigung mit den Gräsern, (1801–1809) „Icones et descriptiones graminum austriacorum“ (Abbildungen und Beschreibungen der österreichischen Gräser). Ihm gewidmet sind die uns als Gartenzierpflanze bekannte ostasiatische Gattung Hosta und aus der heimischen Flora etwa Carex hostiana und Saxifraga hostii. Dem ungarischen, in Walbersdorf bei Mattersburg geborenen, also „in Wirklichkeit“ burgenländischen Botaniker Pál (Paul) Kitaibel (1757–1817) verdanken wir das grundlegende, große Standardwerk der pannonischen Flora: F. A. v. Waldstein & P. Kitaibel (1799–1812): „Descriptiones et icones plantarum rariorum Hungariae“ (Beschreibungen und Abbildungen seltener Pflanzen Ungarns), in dem zahllose neue Arten beschrieben werden, die dem Botaniker geläufig sind unter der Autoren-Abkürzung „W. & K.“, wie z.B. Galatella cana (als Aster canus), Euphorbia lucida, Glechoma hirsuta, Melampyrum barbatum, Scabiosa canescens und Viola ambigua. Außerdem erinnert an ihn die Gattung Kitaibela und z.B. Viola kitaibeliana und Minuartia kitaibelii (= M. langii) sowie die ungarische Fachzeitschrift Kitaibelia. Franz de Paula Adam Graf von Waldstein-Wartenberg war Offizier und Förderer von Kunst und Wissenschaft. Ihm sind die Gattung Waldsteinia und Arten wie Salix waldsteinia und Cirsium waldsteinii gewidmet. Das erwähnte botanische Werk hat aber Kitaibel verfasst. Große Verdienste um die Erforschung der Alpenflora kommen dem deutschen (bayerischen) Botaniker David Heinrich Hoppe (1766–1846) zu; dieser Arzt, Pharmazeut und Direktor des botanischen Gartens in Regensburg war Herausgeber der wichtigen, heute noch existierenden botanischen Fachzeitschrift „Flora“ und Autor vieler Alpenpflanzentaxa; an ihn erinnern u. a. Gnaphalium hoppeanum und Hieracium hoppeanum sowie die Hoppea, die Denkschriften der Regensburgischen Botanischen Gesellschaft. Der Arzt, Chemiker und Botaniker Lorenz Chrysanth von Vest jun. (Lovrenc Krizant Vest; 1776–1840), Arzt in Klagenfurt und Professor am Joanneum in Graz, verfasste 1805 ein „Manuale Botanicum“ (Botanisches Handbuch), eine sehr frühe Exkursionsflora für Mitteleuropa, und beschrieb z.B. Cerastium carinthiacum, Danthonia alpina, Galium schultesii, Rubus sulcatus u. a. Brombeer-Arten sowie Saxifraga crustata. Leopold von Trattinnick (1764–1849), Botaniker in Wien (u. a. Custos am Hof-Naturalienkabinett, dem Vorläufer des Naturhistorischen Museums), verfasste 1814–1822 eine zweibändige „Flora des österreichischen Kaiserthumes“, in der er auf originelle (wenn auch für uns unverdauliche) Art mit der Botanik eine heute nicht verständliche romantische Poesie verquickte, was durchaus dem damaligen Zeitgeist entsprach. Der vielseitig hochbegabte, bedeutende Botaniker und Sippensystematiker Stephan Ladislaus Endlicher (1805–1849), zuletzt Professor an der Universität Wien, schrieb 1830 eine Flora seiner Geburtsstadt: „Flora posoniensis“ (Pressburg / Bratislava und Umgebung, damit heute noch österreichisches Gebiet einschließend). Obwohl er keine Flora schrieb, darf der ebenfalls sehr vielseitige und genialische österreichische Botaniker Franz X. Unger (1800–1870) nicht unerwähnt bleiben, der v. a. mit seinem 1836 entstandenen Werk über den „Über den Einfluss des Bodens auf die Vertheilung der Gewächse“. Grundlegendes für die damals noch nicht als eigenes Fachgebiet existente Ökologie und Vegetationskunde leistete. Weiterführende Literatur Klemun M. & Fischer M. A. (2001): Von der „Seltenheit" zur gefährdeten Biodiversität (Aspekte zur Geschichte der Erforschung der Flora Österreichs). – Neilreichia 1: 85–131. Autor: Manfred A. Fischer. Auszug aus der 3. Auflage der „Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol" (2008), leicht verändert und aktualisiert von Clemens Pachschwöll und Stefan Lefnaer im Oktober 2022. |